Das Feuer im Moor – Epilog

WARNUNG!
Diese Geschichte erst im Anschluss lesen, wenn man den 4. Band “Das Feuer im Moor“ bereits kennt!

Früllerk Grapenthin und Hans Sasse hatten ihre Torfkähne am Anlegeplatz der Aue-Brücke fest gemacht und waren nebeneinander längsseits gegangen. So konnten sie leicht vom Kahn aus, alles was sie mitgebracht hatten, verkaufen.

Vor mehr als zwei Jahren hatte Früllerk den Herrn Oberamtmann Johann August Hinze in Blumenthal getroffen. Und ihn nach der Möglichkeit Torf zu verkaufen gefragt. Der Amtmann hatte berichtet, dass das nicht möglich sei, da schon viele Kolonisten regelmäßige und feste Torf-Abnehmer in den Dörfern an der Lesum und die Weser entlang belieferten.

Wenn auch mit Bedauern, erklärte Früllerk natürlich sofort: „Rechtschaffen müssen wir bleiben!“ Das war immer sein Standpunkt gewesen.

Dem Hohen Herrn gefiel jedoch Früllerks Verzicht so gut, dass er ihm gerade darum erlaubte an der Brücke seinen Torf zu verkaufen. Allerdings mit strengen Regeln: nur vom Kahn aus und körbeweise. Das Geschäft lief trotzdem gut, da es immer wieder Hausfrauen gab, die nicht richtig haushalten konnten und froh waren, dass es nach dem Winter noch Torf zu erwerben gab.

Er erhielt außerdem die Erlaubnis, das auch sein Freund und Nachbar Hans zu den gleichen Bedingungen handeln durfte.

Leider konnte Früllerk in diesem Frühjahr nur eine geringe Menge Torfsoden anbieten, da der Großteil ja zusammen mit der alten Hütte verbrannt war. Sein Kahn war stattdessen hoch beladen mit dem, was sie im Winter hergestellt hatten. Sie wollten die Weiden-Körbe, die Hans geflochten hatte, verkaufen. Dazu unterschiedlich große Gefäße aus Holz und Birkenrinde, die Früllerk regelmäßig herstellte.

Zum Sortiment gehörte auch Lines Rest ihrer getrockneten Kirschen. Wer jemals von dieser säuerlichen Sorte gekostet hatte, verlangte immer wieder danach. Zum Glück trug die wilde Kirsche außerordentlich gut.

Nur ihre Tartuffels, die wurden weiterhin skeptisch betrachtet und nicht gekauft. Trotzdem gab Line ihrem Mann regelmäßig einen Sack voll mit und er bot sie jeder Käuferin an – weiterhin vergeblich! Diese fremden Knollen, da waren sich alle einig, kamen vom Teufel und niemand wollte sie probieren.

Früllerk überlegte gerade, ob er beim nächsten Mal vielleicht bereits gekochte Kartoffeln mitbringen sollte, damit mutige Frauen sie testen könnten, da sah er plötzlich einen Seemann, der mit wiegendem Schritt in Seefahrer-Kleidung, am Ufer entlang schlenderte. Der junge Mann kam ihm irgendwie bekannt vor. Früllerk überlegte und wollte gerade Hans aufmerksam machen, da stand unerwartet der Herr Oberamtmann mit seinem Amtsschreiber und zwei weiteren Männern, der Kleidung nach Knechte, am Boot und fragte jovial: „Ja, guten Tag, mein lieber Früllerk Grapenthien aus dem Günnemoor! Wieder einmal hier?“

Früllerk nickte und grüßte korrekt in die Männerrunde hinein. Dabei geriet auch der Seemann wieder in sein Blickfeld und plötzlich wusste er: das war der verschwundene Hinnerk Söötmuul oder Poggensteker, wie er eigentlich hieß.

Früllerk wollte nicht unhöflich sein, aber seine Wut auf den mörderischen Feuerteufel stieg unvermittelt in ihm hoch. Er blickte den Amtmann nur entschuldigend an, wandte sich hektisch zu Hans, zeigte mit dem Finger auf den Seefahrer und schrie laut: „Hans, kiek mol! Dor, dat is doch Hinnerk ut’n Günnemoor!“

Alle Menschen, die eigentlich etwas kaufen wollten, drehten gleichzeitig ihre Köpfe in Richtung des jungen Seemanns. Als der den Schrei und den Namen hörte, änderte sich auf der Stelle sein Gang, aus dem Schlendern wurden hektische Schritte, schließlich begann er zu laufen.

Nun war sich Früllerk sicher und schrie, indem er mit der Hand in dessen Richtung wies: „Haltet den Seefahrer dort auf! Lasst ihn nicht entkommen. Er ist ein Mörder und wird im Teufelsmoor schon lange gesucht!“

Der Seemann schaute mit wildem Blick zurück und beschleunigte noch mehr, er rannte so schnell er konnte.

Oberamtmann Hinze schaute von Früllerk zum Seefahrer, die Situation kam ihm suspekt vor. Darum rief er dem Laufenden zu: „Du Seemann! Bleib stehen! Ich hab mit dir zu reden!“

Der junge Mann jedoch flitzte inzwischen schon über die Brücke in Richtung Leverkenbarg. Obwohl er sich in der Region nicht auskannte, dachte er vermutlich sich dort in einem der nahe beieinander stehenden Häuser verstecken zu können.

Dieses Verhalten war eindeutig verdächtig. Der Hohe Herr zeigte mit einem Kopfnicken auf seine Knechte, wies zusätzlich mit dem Finger auf den Fliehenden und verfügte kurzerhand: „Hinterher! Fangt ihn!“

Solche Befehle waren den Beiden vertraut, er war nicht der Erste, den sie im Laufe der Zeit eingefangen hatten. Sie schüttelten nur rasch ihre Holschen von den Füßen und sausten, so schnell sie konnten, dem Seemann hinterher. Der verschwand grade zwischen zwei Häusern in einem Hof.

Früllerk war rasch vom Kahn gestiegen und wollte instinktiv ebenfalls hinterher laufen. Hans war genauso aufgeregt, er wusste jedoch nicht, wie er sich verhalten sollte. Seine Sorge galt mehr den Kähnen und ihrem Inhalt. Er blieb lieber an Bord.

Der Amtmann verhinderte mit erhobener Hand, das sich Früllerk entfernte und forderte selbstverständlich eine sofortige Erklärung.

Früllerk besann sich, die Knechte wussten natürlich genau, was zu tun war. Er atmete mehrmals tief durch und äußerte sich mit ruhiger werdender Stimme: „Verzeihen Sie bitte vielmals, mein Herr!“ Dabei dienerte er tief, schließlich stand er vor der hier zuständigen Obrigkeit. „Ihr könnt nichts darüber wissen, aber vor einigen Wochen verschwand ein junger Mann aus dem Teufelsmoor und wir alle dort sind uns sicher, das er ein Feuerteufel ist.“ Früllerk versagte die Stimme vor Aufregung, er musste erstmal mehrfach schlucken.

Hans ergänzte darum schnell: „Zuerst brannten nur Scheunen, dann jedoch versuchte der junge Mann Häuser anzuzünden. Es verbrannten sogar zwei Menschen und er ließ außerdem seinen eigenen Bruder im Feuer zurück.“

Amtmann Hinze nickte, von den häufigen Bränden im Nachbarbezirk hatte er erfahren. „Ja, das weiß ich natürlich! Aber wieso kommt ihr auf die Idee, der junge Seefahrer sei es gewesen?“

„Mein Herr!“ Hans traute sich inzwischen ebenfalls den Hohen Herrn anzusprechen. Schließlich musste er seinem Freund und Nachbarn beistehen. „Wir sprachen mit der Obrigkeit in Osterholz. Auch der Walkmeister, bei dem die Brüder Lehrlinge waren, wusste eine Menge zu sagen.“

„Wir kannten beide Brüder und deren ganze Familie genau, da sie eine Kate bei uns im Günnemoor bezogen hatten,“ ergänzte Früllerk.

„Du hast einen Namen gerufen. Wie heißt er denn? Wenn er es ist!“ fragte der Amtmann mit strenger Stimme. „Wenn er es doch nicht sein sollte, dann ergeht es dir übel! Ich lasse meine Knechte nicht sinnlos in der Gegend herum laufen und einen Unschuldigen fangen!“

„Er ist Hinnerk Söötmuul, da bin ich mir ganz sicher!“ antwortete Früllerk, wenn auch erschrocken, mit fester Stimme.

Hans ergänzte: „Vielleicht nennt er sich auch Poggensteker nach seinem Stiefvater. Aber wenn er vor uns steht, wissen wir es ganz genau!“

Und Früllerk erklärte: „Sein Stiefvater Adolphe Poggensteker war ebenfalls ein sehr böser Mensch. Der wurde in Osterholz vor einigen Jahren ins Gefängnis gesteckt. Er ist später als mehrfacher Mörder mit dem Schwert gerichtet worden.“

„Ja, daran erinnere ich mich genau, ich war bei der Verurteilung dabei. Eine Todesstrafe muss vom Gericht genauestens geprüft und erst danach entschieden werden. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter! Ich gab meinem Kollegen damals Amtshilfe. Und der junge Seemann ist dessen Sohn?“

Früllerk und Hans nickten heftig.

„Ihr habt eben von Brüdern gesprochen. Wo ist denn der andere? Müsste der nicht ebenfalls hier sein?“

„Nein, der ist doch im Feuer verbrannt. Darum kamen wir ja den beiden Feuerteufeln auf die Schliche!“ Früllerk erklärte weiter: „Die beiden zündeten meine Moorhütte an, weil sie dachten, wir würden noch darin wohnen. Warum der jüngere in der brennenden Hütte blieb, wissen wir nicht genau. Der andere, Hinnerk, jedoch verschwand spurlos. Und wir vermuten, dass er auf einem Schiff angeheuert hat. Das würde zu seiner jetzigen Kleidung passen.“

„Ja“, bestätigte Oberamtmann Hinze, „ein Segler wurde von meinem Schreiber im Rönnebecker Hafen kontrolliert.“

„Und bestimmt kam Hinnerk nicht auf die Idee, das er außerhalb von Scharmbeck oder Osterholz und des Moores erkannt werden könnte. Er ging an Land und spazierte sorglos durch Flethe.“ Früllerk kannte sich hier inzwischen einigermaßen aus.

„Es ist ja auch purer Zufall, dass wir heute hier sind“, wollte Hans gerade sagen, er schaffte es jedoch nicht mehr, denn mit viel Geschrei zogen und zerrten die beiden Knechte den jungen Seefahrer über die Brücke. Einer hatte ihn im Schwitzkasten fest an sich gepresst, der andere versuchte die Beine des heftig um sich Schlagenden abzuwehren.

Lautes Gejohle von halbwüchsigen Jungen begleitete die drei. „Wi hebbt den Keerl sehn, he wull sik achter ne Schüündöör versteken. Dat hebbt wie jooe twee Knechtens wiest. – Kriegt wi denn ok ne lüttsche Belohnung dorför?“

Der Amtmann schaffte es mit einer knappen Handbewegung die Aufregung und Lautstärke zu drosseln. „Wenn das stimmt, was ihr sagt, erhaltet ihr selbstverständlich einen kleinen Lohn. Kommt nachher zu mir auf den Amtshof!“

Die Jungen fragten erfürchtig staunend: „Na Hus Blomendal?“

Nur ein kurzes Kopfnicken bestätigte die Frage.

Der Hohe Herr sprach inzwischen schon mit seinen Knechten: „Stimmt was die Jungen sagen?“ Er wartete jedoch eine Antwort nicht ab. „Du da“, herrschte er den Seemann an, „warum bist du weg gelaufen?“ Und sofort weiter: „Steh endlich still und sträube dich nicht! Meine Leute lassen dich nicht aus! Bist du Hinnerk Söötmuul? Oder nennst du dich Poggensteker?“

Der Seefahrer kniff die Lippen fest zusammen, drehte seinen Kopf, so gut es möglich war, seitwärts und spuckte kräftig auf den Weg. Das war wohl Antwort genug.

„Früllerk, komm dichter, ist das der Hinnerk, von dem ihr berichtet habt?“

Auch Hans trat, ohne aufgefordert zu sein, an den sich weiterhin heftig Wehrenden heran, nicht zu nahe, er wollte nicht bespuckt werden und musterte ihn genau.

Früllerks Aufregung schlug in Sarkasmus um: „Na Hinnerk, welches Haus willst du denn als nächstes anzünden? Eins in Flethe oder in Blumenthal? Vielleicht ein besonders großes mit vielen Menschen, die dann verbrennen?“

Hans dagegen bestätigte: „Mein Herr, es ist Hinnerk. Wir kennen ihn gut, er wohnte schließlich bei uns im Günnemoor!“

„Das ist Beweis genug“, entschied der Amtmann und fragte in die Runde: „Hat jemand ein Tau oder Seil zur Hand?“

Hans hob die Hand: „Wir haben auf dem Kahn mehrere. Ich hole eines!“

„Bring zwei“, befahl der Amtmann. „Wir sollten ihn an Armen und Beinen binden!“

Hinnerk wehrte sich noch stärker, als er mit den Seilen gefesselt wurde. Nun konnte er nur noch mit kleinsten Schritten trippeln. Er verweigerte jedoch alles, ließ sich einfach auf den Boden fallen und beschimpfte alle auf das Unflätigste.

„Steckt ihm ein Tuch in den Mund“, befahl Oberamtmann Hinze, „er soll aber noch Luft bekommen!“ Nur mit Geschick konnte das Tuch in den Mund gestopft werden, da er ihn grade weit auf machte, um lautstark zu pöbeln und zu spucken.

Der Amtmann sah nur einen Moment zu, er bat darauf kurz und bündig um eine Schubkarre. Inzwischen waren viele Menschen dazu gekommen. „Ich wohne ganz nahe“, erklärte ein älterer Mann. „Ich hole meine, das geht schnell!“ Mit eiligem Tritt verschwand er in der nächsten Scheune nur ein kurzes Stück von der Aue-Brücke entfernt. Und war gleich darauf schon wieder zurück.

Mit einem „Hau Ruck“ wurde der Seemann an Schulter und Füßen gepackt und unsanft auf die hölzerne Schubkarre gehievt.

„Na? Diese unwürdige Fahrt hat er sich selber ausgesucht“, darüber waren sich mehrere der Zuschauenden einig.

Der Hohe Herr äußerte sich nicht dazu, er wies nur knapp seine Knechte an: „Schiebt ihn auf den Amtshof und steckt ihn gebunden ins Kaschott! Ich kümmere mich später um ihn!“ Er drehte sich zu Früllerk und Hans: „Ich gehe davon aus, dass ihr mitkommt?“

Früllerk nickte zwar, aber er hatte, wie auch Hans, Sorge um den Inhalt ihrer beiden Kähne.

Der Amtmann ahnte, warum sie zögerten und wußte sofort Rat: „Mein Schreiber bleibt hier und achtet auf alles. Wenn wir beim Hus Blomendal angekommen sind, schicke ich im Tausch meinen Großknecht. Den Schreiber brauche ich ja später für die Befragungen.“ Sogar ein leichtes Lächeln stand kurz in seinem Gesicht. Und zu dem älteren Mann gewandt: „Der bringt dir dann auch die Karre zurück! Weest bedankt.“

Hans und Früllerk gingen mit dem Hohen Herrn hinter dem Gefangenen auf der Schubkarre. Beide waren erleichtert, denn sie wußten natürlich nicht, wo der Amtssitz lag und in welches Gebäude sie dort auf dem Hof gehen müßten. So war alles gut geregelt.

Auf dem Amtshof angekommen, wurde Hinnerk zwar über das Kopfsteinpflaster geschoben, die Rüttelei ließ ihn jedoch von der hölzernen Karre fallen. Vielleicht hatte er auch ein wenig nachgeholfen. Er strampelte, trat mit den gebundenen Füßen aus, drehte und rollte sich hin und her, die beiden Knechte hatten Mühe ihn zu halten. Es war deutlich, dass er nicht ins Gefängnis wollte.

Früllerk bot sofort an: „Wir helfen als Erstes Euren Knechten, ist das recht?“

„Ja, natürlich, der Hinnerk entwickelt ja Riesenkräfte! Aber frei kommt er nicht mehr! Ich hole derweil den Schlüssel! Und sage, wie versprochen, meinem Großknecht Bescheid, wegen eurer Kähne.“

Nur mit Mühe konnte der rasende junge Mann bewältigt werden. Sie trugen und zogen ihn in Richtung eines Gebäudes mit einem Vorbau, zu dem beidseitig Stufen hinauf führten.

Der Hohe Herr stieg auf der linken Seite die drei Stufen hoch und öffnete die Tür. Mühevoll zerrten die vier, eigentlich ja kräftigen Männer, den Tobenden die Treppe hoch, über ein kleines Stück Flur und danach sofort wieder einige Stufen hinunter, die ins Innere des Kellergeschosses führten.

Große rote Backsteine bildeten den Fußboden des Untergeschosses, mehrere Pfeiler endeten oben in Gewölben. Der Amtmann blickte weder links noch rechts, er ging zielsicher auf eine Tür zu, die er aufschloß und öffnete. Er ging in ein Verließ, die vier Männer folgten mit dem gebundenen Hinnerk. Sie legten ihn auf dem steinernen Boden ab und rieben sich Arme und Hände, um ihre verkrampften Muskeln aufzulockern.

Früllerk und Hans schauten sich dabei interessiert um, sie hatten noch nie ein Gefängnis von innen gesehen. Der Raum war völlig leer, zwei kleine Fenster gaben etwas Licht. Sie waren mit dichtstehenden, kantigen Eisenstäben vergittert. Lange, dick mit Staub bedeckte, Spinnweben hingen überall vom Gewölbe. Auf den Backsteinen klebte Schmutz, der mit pelzigem Schimmel bedeckt war.

„Bringt ihm etwas Stroh als Auflage“, befahl Oberamtmann Hinze, „auch einen alten Dauben-Eimer für seine Notdurft. Na ja, den braucht er jetzt vermutlich noch nicht, lasst ihn lieber gebunden. Ich will ihn noch verhören. Wenn er sich etwas abgekühlt hat! Nehmt ihm aber den Lappen aus dem Mund, ersticken soll er schließlich nicht!“ Noch bevor er jedoch den Raum verlassen hatte, begann der Gefangene, inzwischen ohne Lappen, wieder zu schreien: „Ich bin nicht Hinnerk, Früllerk und Hans täuschen sich!“

Der Amtmann lächelte spöttisch: „Ach nein? Und woher weißt du dann die Namen der beiden?“

„Ihr habt sie so angesprochen!“ kam eine schnelle Antwort. „Ich will hier raus! Ich hab’ nichts getan! Laßt mich frei!“

„Schlau bist du ja. Ich habe tatsächlich Früllerk genannt. Aber Hans nicht, oder doch?“ Er schaute dabei Hans an.

Der schüttelte den Kopf: „Nein, mein Herr. Ich vergaß euch meinen Namen zu nennen. Entschuldigt bitte vielmals.“

„Ist schon gut, jetzt hilft es vermutlich sogar Hinnerk zu überführen.“ Der Amtmann verließ das Gefängnis, obwohl Hinnerk immer lauter schrie.

Die vier Männer folgten dem Hohen Herrn. Mit einem dumpfen Knall schloß sich die Tür. Der Schlüssel wurde umgedreht und den Knechten gegeben.

Früllerk und Hans hatten derweil Gelegenheit die Tür des Gefängnisses anzusehen. Sie war aus schweren Holzbohlen gefertigt, die im oberen Bereich mittig rechteckig ausgesägt war. Eine vergitterte Klappe verschloß die Öffnung.

„So, kommt mit in mein Sprechzimmer, ich muss euch Einiges fragen und das geht bei diesem Geschrei dort besser“, forderte der Oberamtmann Früllerk und Hans auf.

Zwar aufgeregt, aber doch neugierig, folgten sie ihm über den Hof. Hinter einer Tür mit flacher Steinschwelle kamen sie in eine weite Diele. Über große alte Sandsteinplatten führte sie der Amtmann in einen quadratischen Raum mit zwei hohen Fenstern. Er war nur spärlich möbliert, in der Mitte befand sich ein großer Tisch mit einem Lehnstuhl dahinter. Eine schlichte Holzbank stand davor. Das Stehpult an der Wand zwischen zwei Fenstern bekam auf diese Weise viel Licht, vermutete Früllerk. Ein Schrank vervollständigte die Einrichtung.

„Setzt euch auf die Bank“, wies der Oberamtmann mit einer Handbewegung an. „Es ist keine Arme-Sünder-Bank“ lächelte er dabei. Vermutlich, um den beiden Freunden die Aufregung ein wenig zu nehmen. „Mögt ihr etwas trinken?“

Beide verneinten, sie würden lieber schnell die Befragung bewältigen.

Es klopfte. Der Schreiber betrat das Sprechzimmer und ging schnurstracks zu dem Stehpult, hob die Schreibplatte hoch, nahm Papier und ein Tintenfaß heraus, spitzte eine Schreibfeder an und blickte erwartungsvoll auf seinen Vorgesetzten.

„Ihr beiden, Früllerk und Hans aus dem Günnemoor, sagt bitte zuerst deutlich euren vollständigen Namen und euer Alter, damit es aufgeschrieben werden kann.“

Nachdem der Schreiber alles notiert hatte, wandte sich der Hohe Herr zuerst an Früllerk: „Du hast an der Brücke gesagt, dass der Hinnerk deine Moorhütte anzündete. Erzähl ganz genau, von Anfang an und du Hans, ergänzt, wenn es notwendig ist!“

Die zwei Freunde berichteten und redeten abwechselnd, sie fühlten sich inzwischen nicht mehr sehr angespannt und sprachen von den vielen Feuern und davon, das Menschen verbrannt waren. Besonders ausführlich erklärten sie, wie die Idee, die beiden Poggensteker-Jungen seien die Feuerteufel, entstanden war. „Deren Lehrmeister, dem eine der Walkmühlen gehört, gab den Hinweis auf eine kleine steinerne Schnecke, die Arp, der jüngere der Brüder, immer an einem Lederband um den Hals getragen hatte. Diesen Stein fanden wir in der verkohlten Hand des Skelettes in der Hütte.“

Hans hob außerdem hervor, dass das kleine Boot des Walkmeisters genau zu der Zeit verschwand. „Erst später wurde es im Hafen von Vegesack gefunden. Und wir vermuteten alle, dass Hinnerk auf einem der Schiffe dort angeheuert hatte. Auf einem der Walfänger, die ja lange unterwegs sind, bis sie wieder in den Heimathafen zurück kehren.“

„Ein Walfänger ist das Schiff aber nicht, das gerade im Rönnebecker Hafen liegt“, äußerte sich nur kurz der Oberamtmann, blickte jedoch fragend zu seinem Schreiber.

„Nein, nein, Herr Hinze, das Schiff ist nur ein kleiner Segler und war auch nur wenige Wochen unterwegs.“

„Dann ist Hinnerk dumm gewesen. Aber sicher fand er kein großes Schiff, das ihn mitnahm.“ Früllerk überlegte: „Da hätte er doch sicher ein Buch für Fahrensleute besitzen müssen. Das hatte er natürlich nicht und heuerte nur schnellstens irgendwo an, um fort zu kommen.“

„Aber noch dümmer ist er, weil er dachte, niemand würde ihn nach so kurzer Zeit erkennen!“ Der Amtmann schüttelte den Kopf: „Wäre er an Bord geblieben, könnte er jetzt noch frei sein! Ich denke, ich habe ausreichend gehört. Nun wollen wir ihn in eurem Beisein verhören.“

Nachdem der Schreiber den Knechten Bescheid gegeben hatte, ging der Oberamtmann mit Früllerk und Hans zurück in das Haus mit dem Vorbau. „Das ist unser Gerichtsgebäude für das gesamte Amt Blumenthal“, erklärte er.

Sie betraten nun im Obergeschoß eines der Amtsräume. Die Knechte brachten den immer noch gebundenen Hinnerk ebenfalls dorthin. Der Hohe Herr setzte sich einen mächtigen gepolsterten Stuhl mit breiten Lehnen, der wie ein Thron wirkte. Den beiden Freunden wies er einen Platz auf einer Bank an der Wand zu. Der Schreiber ging sofort zu dem auch hier vorhandenen Stehpult und holte Papier und Schreibgerät hervor. Der Gefangene mußte natürlich in der Mitte des Raumes zwischen den Knechten stehen bleiben.

„Warum hat er wieder einen Lappen im Mund?“ fragte der Amtmann streng.

„Er fühlte sich inzwischen wohl wieder recht stark. Als wir ihn holten, begann er noch im Kellergeschoß und dann auf der Treppe uns und alle Gerichtsdiener aufs Übelste zu beschimpfen. Da dachten wir, es sei besser ihn ruhig zu halten.“

„Das habt ihr gut gemacht“, lobte Amtmann Hintze und wandte sich direkt an Hinnerk: „Du scheinst dich ja immer noch nicht abgekühlt zu haben. Wir können dich auch bis morgen oder übermorgen ohne Befragung im Kaschott liegen lassen. Vielleicht aber bist du schlau genug und hast dir eine gute Geschichte überlegt oder weißt, was du zu deiner Verteidigung sagen willst? Sorgt, das er sprechen kann“, befahl er den Knechten.

Einer hielt Hinnerk den Kopf fest, der andere zog den Lappen aus seinem Mund.

„Ich hab Durst“, klagte Hinnerk sofort. „Mein Mund ist von dem Stoff ganz trocken, so kann ich nicht sprechen!“

Der Amtmann verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln: „Oh, du bist tatsächlich ein schlauer Mann. Zumindest wenn es um deinen Vorteil geht. Also gut! Mein Schreiber holt dir schnell ein wenig Wasser. So lange warten wir!“

Es dauerte nicht lange, da hielt einer der Knechte dem Gefangenen einen irdenen Becher an die Lippen. Der trank, indem er den Kopf in den Nacken legte.

„So, das reicht!“ bestimmte Oberamtmann Hinze. „Nun beantworte meine Fragen! Bist du Hinnerk Poggensteker und stammst aus dem Günnemoor?“

„Nein, ich heiße Hinnerk Söötmuul und stamme aus Bremen!“

„Ah so, wieder klug überlegt und geantwortet. Im Günnemoor hast du aber schon gewohnt?“

„Aber nur ganz kurz!“

„Kennst du die beiden Männer dort auf der Bank?“

Trotzig sah Hinnerk zu den beiden Freunden, presste aber die Lippen fest zusammen.

Der Amtmann machte nur eine kleine Kopfbewegung, seine Knechte verstanden und schüttelten Hinnerk kräftig.

„Kennst du die Beiden?“ fragte der Oberamtmann noch einmal.

Hinnerk nickte verhalten.

„Und stimmt es, dass du gerne Feuer gelegt hast?“

Hinnerk rief: „Nein, nein! Das war ich nicht! Das war ganz allein mein Bruder Arp! Ich hab nie etwas getan!“

„So, so und du hast auch nichts davon mitbekommen?“

Vehement schüttelte Hinnerk den Kopf. „Ich hab immer geschlafen, wenn Arp losging und Feuer legte!“

Früllerk widersprach: „Wir wissen aber, dass ihr wie ‘Pott un Pann’ wart. Das ihr immer zu zweit unterwegs gewesen seid!“

„Nein, das stimmt nicht!“ Nun schrie Hinnerk laut. „Da irren sich alle! Ich war nie dabei!“

„Komisch nur, dass der Kreissekretär Carl Dünemann euch beide beobachtet hat.“ Früllerk traute sich erneut etwas zu sagen.

„Nein, nein, ich habe die Treppe nicht angezündet!“

„Ach“, spottete nun wieder der Amtmann, „woher weißt du denn dann von einer Treppe? Niemand sprach eben darüber.“

„Doch, doch! Er nannte eben die brennende Treppe“, verteidigte sich Hinnerk.

„Oh, mein Schreiber notiert jedes Wort. Soll er vorlesen, was Früllerk sagte? Oder ist das nicht nötig?“

„Aber mehr tat ich nicht, nie nicht!“

Früllerk war empört und rief laut: „Dann die Scheune, in der nach dem Brand ein Toter gefunden wurde? Und im Günnemoor starb die alte Jule durch Feuer!“

Frage um Frage prasselten auf Hinnerk ein. „Und bei der Prügelei in Worpswede? Alle jungen Männer bezeugten glaubhaft, das nicht der jüngere, sondern der ältere Bruder den Snipp-Jungen fast totschlug? Mit den Holschen immer gegen dessen Kopf? Er ist immer noch nicht wieder gesund!“

„Nein! Das stimmt nicht. Das waren wir nicht! Da täuschen sich die Worpsweder. Sie hatten ja schon viel getrunken beim Kartenspiel und erinnern das falsch.“

„Ach, beim Kartenspiel?“ schaltete sich nun der Amtmann ein. „Woher weißt du das denn? Nun ist dir zum zweiten Mal etwas heraus gerutscht, was du ja garnicht wissen kannst, wenn du nicht dort warst! Früllerk, wie war das genau?“

„Hanken vom Sandvoss-Hof und der Meister Hinrich Nebendal bezuegen, das ihr es wart. Die kennen euch schließlich vom Angesicht her!“

Nun sprach wieder der Oberamtmann, mt kalter Stimme: „Meine Anklage gegen dich wiegt aber noch schwerer, weil du deinem Bruder in Früllerks brennender Hütte nicht geholfen hast!“

„Ich wollte ihm ja helfen, aber die Tür versperrte ganz von allein den Ausgang.“

„Früllerk, das hast du doch anders berichtet. Der Riegel der Tür war vorgeschoben, oder?“

Früllerk nickte: „Ja, obwohl das Holz stark verbrannt war. Unser Nachbar Fidi wußte es genau!“

Und Hans bestätigte: „Das war ein Schubriegel, der nicht runterfallen konnte. Den hat jemand geschoben.“

„Und das kannst nur du gemacht haben!“ Wie Donner klang des Oberamtmannes Stimme. „Welch abscheuliche Tat, ein Bruder-Mord! Du wirst verurteilt, verlass dich drauf. Die Beweise sind eindeutig! Du hast Schuld und Mitschuld am Tod von mehreren Menschen. Da bin ich mir sicher. Dein Urteil wird durch den Strang oder das Schwert vollzogen!““

„Nein!“ heulte nun Hinnerk auf. Tränen liefen ihm über das Gesicht und vermischten sich mit dem Schleim, der ihm aus der Nase lief. Plötzlich roch es auch streng nach Urin. Seine Seemanns-Hose färbte sich gelb.